Ein Europa, das nützt

Von Wolfgang Machreich · · 2019/Jan-Feb

Anstatt als Brückenbauer betätigte sich die österreichische Ratspräsidentschaft als Brückenkopf für weniger Europa und weniger Union in der EU. Eine kritische Bilanz.

Am Anfang war Schweigen, am Schluss Streit. Dazwischen lagen sechs Monate österreichische EU-Ratspräsidentschaft, zu der es, wenn man die Medien und Presseaussendungen verfolgt hat und in Hintergrundgesprächen zwischen Wien und Brüssel nachfragt, länder- und parteiübergreifend, auf europäischer wie österreichischer Ebene, seitens von Politik, Diplomatie und Medien einen Konsens gibt: Gut, dass sie vorbei ist.

Aber der Reihe nach: Ratspräsidentschaften beginnen im Europaparlament in Straßburg und hören dort auf. Am 15. Jänner übergab Bundeskanzler Sebastian Kurz den Vorsitz im Rat der Europäischen Union an seine rumänische Amtskollegin Viorica Dăncilă, so wie er diesen am 3. Juli des Vorjahres von Bulgariens Premier Bojko Borissow übernommen hatte.

Mit einer halben Stunde Verspätung, denn die Leitungen zwischen Plenarsaal und Dolmetschkabinen waren gekappt, die Dolmetscher streikten im Sommer für bessere Arbeitsbedingungen.

Als die Mikrofone wieder unter Strom standen, lobte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den bulgarischen Premier für seine Arbeit: „Bojko excellent! Ihr habt Brücken gebaut, Menschen zusammengeführt, Leistung gebracht. Wir hoffen, dass Österreich das weiterführt.“

Grabenkämpfe. Das Stichwort „Brücke“ beherrschte daraufhin die Debatte über Aufgaben und Ziele der Österreicher.  „Es sind Gräben entstanden, die es zu überwinden gilt“, sagte Kurz und fasste die Ambition seiner Regierung als die eines „Brückenbauers“ zusammen. Einen besseren Ort wie die Fluss- und Kanalstadt Straßburg mit ihren 31 Brücken hätte sich Kurz dafür nicht aussuchen können.

Im Gebäude, in dem sich heute die Internationale Schule von Straßburg befindet, war jahrhundertelang das Regiment der „Équipes de pontonniers“ stationiert. Diese Brückenbauer schlugen in Kriegen und Schlachten die Brücken für Soldaten und Kriegsgerät. Damit erfüllten sie zwar eine verbindende Funktion, versöhnlich war diese nicht. Der Spielraum zwischen diesen beiden Bedeutungen von Brückenbauer bestimmte auch die Ratspräsidentschaft. Wobei, so der Tenor in- und außerhalb der EU-Institutionen, die türkis-blaue Regierung auf EU-Ebene weniger als konstruktive Brückenbauer und mehr wie „Pontonniers“ agierte.

Seinen Unmut darüber machte etwa Claude Moraes, der Vorsitzende des Innen-Ausschusses (LIBE) des Europaparlaments, publik. Kein Regierungsmitglied aus Österreich reagierte auf seine Einladung zum Austausch im Innen-Ausschuss, schimpfte der britische Labour-Europaabgeordnete, woraufhin er den Termin absagen musste.

Die Ignoranz gegenüber dem LIBE-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres durch den österreichischen Innenminister ist zugegeben ein kleines Detail in der großen Agenda einer Ratspräsidentschaft. Doch sie ist bezeichnend, denn Österreich hatte seine Ratspräsidentschaft unter das Motto „Ein Europa, das schützt“ gestellt.

Wer, wenn nicht dieser Parlamentsausschuss sollte zur Umsetzung einer Schutz-Agenda erster Ansprechpartner sein? Der LIBE-Ausschuss versteht sich jedoch gleichermaßen als „watch dog“ und mahnende Stimme zur Wahrung und Einforderung bürgerlicher Freiheiten. Kritischen Fragen dazu konnte man am besten aus dem Weg gehen, wenn man das Treffen platzen lässt.

Migration statt EZA. In den Entwicklungspolitischen Ausschuss des Europaparlaments war Österreichs Außenministerin Karin Kneissl zwar gekommen. Im Unterschied zur Parlamentarischen Versammlung zwischen EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) Anfang Dezember in Benin, wo sich Österreich von Rumänien vertreten ließ. Über das da wie dort wichtigste entwicklungspolitische Thema der EU-Ratspräsidentschaft, die Vorbereitung und das Ziel der Post-Cotonou-Verhandlungen, hörten die EU-Abgeordneten wenig.

Dabei läuft das Abkommen von Cotonou (Benin), das den wirtschafts-, handels- und entwicklungspolitischen Rahmen für die Beziehungen zwischen EU und den AKP-Staaten darstellt, Anfang 2020 aus.

Der Fokus Österreichs im Entwicklungspolitischen Ausschuss beschränkte sich auf die Verknüpfung und Koppelung von EZA-Maßnahmen mit Migrations- und Fluchtthemen wie die Rücknahme abgelehnter Asylwerberinnen und Asylwerber.

Eine bei diesem Treffen anwesende EZA-Expertin im Europaparlament nannte die Rolle Österreichs „Brückenkopf“ für die Visegrád-Staaten. Die Vorschläge aus Budapest & Co. würden von Wien regelmäßig mit Wohlwollen weiter getragen.

Die Beispiele zeigen, das eigentliche Motto von Türkis-Blau lautete: „Ein Europa, das nützt“ – innenpolitisch nützt. Insofern waren alle Befürchtungen der einen und Hoffnungen der anderen Seite falsch, die Ratspräsidentschaft würde zur Zerreißprobe zwischen der neuen Volkspartei und der alten FPÖ führen.

Im Gegenteil, Türkis wie Blau nützten den EU-Vorsitz, um sich ihrem Klientel als pro- und anti-europäisch zugleich zu präsentieren. Das gelang deswegen gut, da sich für beide Parteien das Thema Europa zuvorderst in einer Politik gegen Migration und für Grenzen beschränkt. Diese „Einseitigkeit der Agenda“ (© Politologin und Publizistin Ulrike Guérot) führte in Brüssel zu Kopfschütteln und ließ sogar die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung von einer „durchwachsenen Bilanz“ schreiben.

Kein Fortschritt bei Digital- bis Transaktionssteuer, Stillstand bei der Migrations- und Asylreform, Verzögerung beim Außengrenzschutz, null Mehr an sozialem Europa …

Auf den Abschluss-Pressekonferenzen in Wien sah man trotzdem nur türkis-blaues Schulterklopfen über den gelungenen Paarlauf auf dem Weg in Richtung weniger Europa.

Einzig die Umwelt- und Agrarministerin Elisabeth Köstinger vermochte ihre Erfahrung als frühere EU-Abgeordnete in Vorsitzerfolge (CO2-Grenze, Glyphosat, Plastikmüll) umzumünzen.

Nächste Runde. „An drei Tagen von drei Diplomaten aus drei Ländern ungefragt zu hören bekommen, wie sehr sie das Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft herbeisehnen. Im Brüsseler Maschinenraum freut man sich auf Rumänien“, kommentierte Stefan Leifert, ZDF-Korrespondent in Brüssel, den Wechsel des Ratsvorsitzes.

Für Türkis-Blau begann die Übergabe der EU-Stafette hingegen weniger freundlich. Die rumänische Regierung kritisierte scharf die von der VP-FP-Regierung mit Jahresbeginn eingeführte Familienbeihilfe-Kürzung für im Ausland lebende Kinder von ArbeitnehmerInnen in Österreich und kündigte an, „auf allen Ebenen“ dagegen vorzugehen.

Die Konfrontation „wir gegen die EU“ startet somit in die nächste Runde.

Wolfgang Machreich ist freier Journalist und Buchautor (u.a. „EU-Gipfel – 28 Höhepunkte Europas, auf die man stehen muss“).

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